... meine Rezensionen

Reinhardts Versuchung [Kindle Edition]

von Ingolf Behrens

 

Klappentext / Kurzbeschreibung

In einer Welt, in der sich die meisten Probleme nur noch in virtuellen Räumen abspielen, reizt es natürlich den einen oder anderen die Gefahr einmal ins wirkliche Leben zurückzuholen.
Doch Vorsicht, mit manchen längst vergessenen Dingen sollte man besser nicht experimentieren. Selbst dann nicht, wenn man glaubt, dass man sich selbst gut schützen kann.

 

 

Inhalt und Umsetzung

Ich verstehe diese Kurzgeschichte auch als eine Liebeserklärung an gedruckte Bücher - verpackt in eine schreckliche Zukunftsvision: So bezeichnet die Freundin des Protagonisten Bücher als "eine Art Accessoire der Bildungselite" und "Relikt". Grausige Vorstellung ... Aber - rezensiere ich just in diesem Moment nicht ein Kindle-Produkt auf meinem Laptop? Ohne Papier und ohne Stift. (Falls Sie nicht mehr wissen, was das ist: Fragen Sie doch bitte ihre Großeltern danach. Die könnten Ihnen vielleicht noch analoge Fotos ... ach lassen wir das lieber.)

Während des Lesens der Geschichte erwischte ich mit bei dem einen oder anderen sehnsüchtig-zufriedenen Blick auf meine eigenen Errungenschaften (Bücher, deren Druck zur Zeit meiner Urgroßeltern stattgefunden hat). Ganz offenbar konnte mich der Autor also emotional berühren.

 

Reinhardt lebt in einer Zukunft, in der die Seuchen unserer Zeit ausgerottet wurden. Der Autor verpackt diese Information sowohl in "schnöde" Fakten als auch in interessant geschliffenen Satzkonstruktionen: "Niemand erinnerte sich auch nur an die Namen der vielen Todesengel, die durch die Jahrhunderte davor gerauscht waren und walkürengleich die Menschen zu Tausenden dahingerafft hatten."

Überhaupt fällt auf, dass Herr Behrens ein Gefühl für Sprache hat, denn der Lesefluss stimmt. Kurze Sätze wechseln sich mit längeren (s.o.) ab und bieten die Möglichkeit ganz nahe am Geschehen zu sein. Diese Nähe entsteht obwohl er sich für die dritte Person im Präteritum entschieden hat.

 

Einmal ist mir ein Fehler in der Zeitwahl aufgefallen und bei der ersten Verwendung des Wortes "Phiole" hat sich ein falscher Artikel eingeschlichen. Abgesehen davon ist mir nichts Negatives, das Lektorat betreffend, ins Auge gesprungen. Der Autor hätte eventuell einen Blocksatz verwenden können - aber da komme ich schon in den Bereich "Kleinkrämerei".

 

Die Mechanismus, welcher hinter der allgemeinen Gesundheit der Menschheit steht, mag sogar für eine Kurzgeschichte dieses Genres etwas sehr optimistisch und utopisch sein (aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet), ist aber stimmig erzählt und in sich schlüssig.

 

Der Spannungsbogen ist vorhanden, wenn auch flach. Das liegt entweder am Thema an sich (denn sprachlich habe ich nichts auszusetzen) oder an mir, da ich mir recht schnell zusammenreimem konnte, wie die Erzählung wohl ausgehen wird.

Eine wirkliche Überraschung bot mir der Ausgang der Geschichte also nicht. Das ist aber auch nicht nötig, denn "Reinhardts Versuchung" ist mit Witz und Raffinesse erzählt. Sie macht Spaß und ja, (auch wenn es gemein ist) eine gewisse Schadenfreude konnte ich mir nicht verkneifen.

 

Einige Inhaltliche Winzigkeiten, die mir aufgefallen sind (ACHTUNG! DICKE SPOILER!):

Mir fehlt der zu erwartende Durchfall bei der Einnahme von Antibiotika (... oder sind E.coli ebenfalls im Vorfeld vernichtet worden? Mhm ... das bringt mich auf die nächste Frage: Wenn alle körperfremden Zellen zerstört werden, wie funktioniert das Verdauungssystem? Ohne Darmflora stehen wir normalerweise ziemlich schlecht da ...)

Reinhardt ist auf der einen Seite beneidenswert effektiv und kreativ - dafür aber etwas langsam was den Gebrauch des Müllschluckers angeht. Für einen Wissenschaftler eine bedenkliche Eigenschaft. Das darf aber gern auf seinen Zustand zurückgeführt werden. Oder darauf, dass Wissenschaftler mit Vorliebe etwas tun, weil sie es eben können - ohne im Vorfeld auf die Konsequenzen zu achten (Dieses Urteil darf ich mir erlauben - ich war Genetikerin).

Wie gesagt, es sind Winzigkeiten - und auch nicht dringend notwendig für das Funktionieren der Geschichte. Die Fragen haben sich mir jedoch als Berufskrankheit quasi aufgedrängelt.

(SPOILER ENDE)

 

Was das Cover angeht: das ist ganz sicher Geschmackssache - meinen trifft es jedoch nicht. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es der Geschichte wirklich gerecht wird. Da hätten andere Möglichkeiten (nicht am Computer erstellte) näher gelegen. Deutlicher formuliert: ohne die ein oder andere Rezension auf Amazon hätte mich das Cover um einigen Spaß gebracht.

 

 

Fazit

Eine wirklich gut zu lesende Geschichte, die vor allem durch ihrem Witz und die Schadenfreude des Lesers lebt.