... meine Rezensionen

Die letzte Lesung [Kindle Edition]

von Liv Olson

 

Klappentext / Kurzbeschreibung

Der Krimiautor tritt ans Rednerpult. Es soll die Vorlesung seines neuen Krimis werden. Doch dann ändert sich alles. Das Publikum wird selbst Teil eines Krimis: gefangen im Vorlesungssaal und voller Angst, jeden Augenblick zu sterben.
Liv Olson entführt in ihrem Kurzkrimi die Leser in menschliche Abgründe und überrascht mit einem verblüffenden Ende.

 

 

Inhalt und Umsetzung

Dieser Kurzkrimi ist sehr geschickt gemacht. Wieso?

Weil er den Leser direkt anspricht.

 

Aber komme ich zuerst zum Handwerklichen:

Mir sind weder in der Orthographie, in der Interpunktion noch in der Grammatik Fehler aufgefallen (und ich suche recht penibel). Das Layout ist im Blocksatz gehalten. Absätze sind regelmäßig vorhanden, so dass das Lesen angenehm ist. Der Text ist zur Hälfte kursiv geschrieben (Krimiautor) und zur Hälfte "normal" (Mörder).

Lediglich zu Beginn der Geschichte ist mir ein ungewöhnliches Layout aufgefallen: die ersten Zeilen sind eigenartiger Weise zentriert formatiert worden.

 

Was geschieht?

Ein namenloser Krimiautor erscheint zu seiner Lesung und findet auf seinem Rednerpult das Pamphlet eines künftigen Mörders.

"Liebe Krimifreunde, ich freue mich, dass Sie heute Abend so zahlreich in der Stadthalle zur Vorstellung meines neuen Romans erschienen sind. [...] Äh, Moment mal. Was soll das hier? Hier liegt ein Manuskript auf meinem Rednerpult. Will mir hier ein Krimiautor unter Ihnen seine Geschichte auf diese Weise überreichen? [...] Hier stehen nämlich zwei puristische Worte auf dem Deckblatt: WICHTIG. VORLESEN. [...] Dies ist kein Scherz. Sie werden heute keine Krimivorlesung erleben, da Sie selbst Teil eines Krimis werden.

Dazu gibt es drei einfache Grundregeln. Erstens: wer den Raum verlassen will, wird erschossen ..."

 

Wie aus den Zitaten hervor geht, ist der gesamte Krimi in der ersten Person Singular, Präsens gehalten. Sowohl der Autor als auch der Mörder (in Form des Manuskriptes) sprechen die Zuhörer direkt an. Das hat zur Folge, dass der Leser ebenfalls direkt angesprochen wird. So wird eine Unmittelbarkeit aufgebaut, die für einen hohen Spannungsbogen sorgt.

 

Die Sprache beider Protagonisten ist angenehm und bildungsnah (wie man neuerdings politisch korrekt sagt) gehalten.

(Achtung! SPOILER)

Die Ähnlichkeit der Stile hat mich persönlich zunächst auf eine falsche Fährte geschickt. Um so überraschender war für mich dann das Ende ;-)

(SPOILER ENDE)

Lediglich zwei Mal wurde der Sprachstil auffällig gebrochen:

"[...] dass sich Menschen vor Angst in die Hose pissen."

"Er ist in Wirklichkeit ein Kinderf**ker."

 

Ein Rezensient auf Amazon hat bemängelt, dass die Nähe zu den Geiseln nicht aufgebaut werden kann. Dem stimme ich prinzipiell zu. Durch die Wahl der ich-Perspektive und weil die Kurzgeschichte ausschließlich in der wörtlichen Rede gehalten wurde, ist es schwer möglich, die Reaktionen der Anwesenden zu zeichnen. Liv Olson behilft sich hin und wieder mit Beschreibungen, die der Krimiautor vornimmt:

"[...] sehen Sie, wie meine Hände zittern."

"Der Geiselnehmer zeigt sich nicht."

"Aber es ist gut, dass Sie so ruhig und besonnen auf Ihren Plätzen bleiben."

"Ich muss kurz noch was trinken. [...] Sie sehen alle fragend zu mir hinauf."

 

Der Mörder bezieht sich immer wieder auf die Tatsache, dass das Auditorium aus Krimilesern besteht. Nach und nach stellt er Möglichkeiten vor, mit denen er eine der dreihundert Geiseln töten könnte. Er spielt mit den Erwartungen und Gefühlen der Gefangenen, scheut sich nicht sie zu verhöhnen indem er ihnen (und somit dem Leser) den Spiegel vorhält:

"Auf den Seziertischen Ihrer täglichen Krimiserien haben Sie sich doch nach und nach Ihre Gefühle herausschneiden lassen. Sie haben längst jedes Gefühl für die Realität verloren, jedes Mitgefühl für wahre Menschen."

"Merken Sie, was in diesem Augenblick in Ihnen vorgeht? Jetzt bin ich Ihnen direkt sympathisch, was?"

"Was wissen Sie schon, Sie mit Ihrer Krimierfahrung. Sie wissen gar nichts. Sie sind in einem Raum gefangen und warten auf das Sterben."

"Man kann es quasi in der Luft des Raumes lesen, was Sie alle kollektiv denken: Nun sag dein Motiv und schreite zur Tat."

 

Nach knapp 70 % fand ich, dass der Kurzkrimi etwas langatmig wurde. Meiner Meinung nach übertreibt es Liv Olson mit den Ausführungen des Mörders. Das Motiv des Killers hatte ich bereits mehr als erfasst und weitere Beleuchtungen erschienen mir zu viel.

(Achtung! SPOILER)

Es könnte - zumindest teilweise - in etwa so zusammengefasst werden: Sie stehen doch drauf, wenn Sie sich vorstellen, auf welche Weise fiktive Charaktere dahingerafft werden - wieso also nicht Ihre derzeitige Situation genießen?

(SPOILER ENDE)

 

Das Ende ist überraschend und fies (sowas mag ich).

 

 

Fazit

Clever konstruierter Krimi, der den Leser in die Unmittelbarkeit zwingt.