Wenn der Wind weht

When the wind blows

von Raymond Briggs aus dem Jahr 1986

 

Vor einiger Zeit bin ich durch den Buchladen meines Vertrauens geschlendert und bin in der DVD-Abteilung hängen geblieben. Dort – auf dem Grabbeltisch – ist mir eine Perle aus meiner Kindheit ins Auge gestochen:

"Wenn der Wind weht / When the wind blows" von Raymond Biggs aus dem Jahr 1986.

 

 

Aus dem Klappentext

"Jim und Hilda sind ein liebes, altes Paar, das hinter den immergrünen Hügeln sein friedliches Leben lebt. Sie sind bezaubernd, witzig, zum Weinen komisch und nörgeln auch ganz gerne. Eines Tages erfahren sie aus dem Radio, dass ein nuklearer Angriff bevorsteht. Flugs baut Jim einen Schutzraum und ist überzeugt, dass er an alles gedacht hat. Doch er weiß nicht, was tatsächlich passiert."

 

 

Vorbemerkung

Um es voran zu schicken: dieser Film ist ab sechs Jahren freigegeben.

Ich habe ihn damals etwa mit neun oder zehn Jahren das erste Mal gesehen (Jahrgangsbedingt). Ungefähr zeitgleich mit „Der Tag danach“. Beides Filme die einen Atomkrieg zum Thema haben. Und während „Der Tag danach“ ganz offensichtlich kein Film für Kinder ist, bin ich inzwischen der Meinung, dass „when the wind blows“ mir als kleiner Steppke ebenfalls nicht gut getan hat. Hätte ich Nachkommen, würden sie diesen Film nicht zu sehen kriegen, bis sie nicht mindestens zwölf sind. Es fehlt in jüngeren Jahren die Möglichkeit zur objektiven Reflexion und daher sind die erzeugten Emotionen überwältigend.

Aber dies nur als bescheidene Vorbemerkung.

 

 

Inhalt

Jim und Hilda entstammen der Arbeiterklasse. Sie sind (so wird es auch von Briggs im Interview betont) nicht dumm. Hier und dort blitzt der Gebrauch von „schlauen Wörtern“ in den Texten auf. Sie finden aber überwiegend unangebrachte Verwendung oder werden von Hilda fehlinterpretiert. „(un)gesundes Halbwissen“, sozusagen. Darüber hinaus ist dieses Ehepaar, welches sich im dritten Lebenstrimester befindet, schrecklich naiv. Jim glaubt an alles, was ihm „die Regierung" vorgibt. Hilda, seine Frau, ist geradezu davon besessen, ihren Haushalt pikobello in Ordnung zu halten.

 

Hätte ich diese Rezension geschrieben, als ich den Film das erste Mal gesehen hatte, hätte ich die beiden als super sympathisch beschrieben. Eigentlich waren sie das Paradebeispiel liebenswerter (Groß)eltern für mich. Am Ende des Films habe ich geheult wie ein Schlosshund.

 

Heute, zwei Jahrzehnte danach, bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie sind niedlich. Sie sind nett zueinander. Sie sind drollig. Aber dennoch hatte ich - als ich den Film wieder ansah - das dringende Bedürfnis, ihnen kräftig den Kopf zu waschen! Hätten sie den (ihren Kopf) nämlich selbstständig benutzt (statt auf die „Regierung“ und die „Wissenschaftler“ zu hören), wäre der Film schnell zu Ende gewesen, da sie das einzig Richtige getan hätten, nämlich ... doch dazu später.

 

Wo war ich?

Richtig. Nettes, naives Ehepaar. Jim, der Mann, verfügt über ein rudimentäres, angelesenes Wissen – aber die Fähigkeit Rückschlüsse aus seinem Wissen zu ziehen, geht ihm total ab. Hilda, ein Hausmütterchen wie es vor einigen Generationen noch üblich war, liebt ihren Mann, ihren Haushalt und die Ordnung.

Beide leben am Rande Londons in einer ländlichen Gegend ohne direkte Nachbarn.

Eines Tages erfährt Jim aus der Zeitung (und später aus dem Radio), dass ein atomarer Krieg vor der Tür steht. Zunächst hoffen beide, dass sich die Lage noch beruhigen wird (Hilda: „och, das geht vorbei.“).

 

Je unabwendbarer die Bombe wird, desto mehr verlieren sich die beiden in zwei Handlungsplots: zum einen werden sie richtig gehend nostalgisch als sie an den zweiten Weltkrieg zurückdenken (Hilda: „Ja, das waren noch Zeiten“; Jim: „Bei Stalin wusste man noch woran man war. Der hatte einen tollen Schnäuzer“) und zum anderen stürzt sich Jim in die Vorbereitungen auf den Ernstfall. Den „amtlichen Anweisungen“ folgend baut er aus Zimmertüren einen „Bunker“ an die Wohnzimmerwand, welcher laut Anweisung einen exakten Winkel von 60° einnehmen muss. Die beiden sammeln Wasservorräte in Glasflaschen(!), damit sie die nächsten 14 Tage nach dem Angriff überleben können. Jim möchtet in den Ort radeln, um 14 Leiber Brot zu kaufen. Hilda schlägt ihm vor, darüberhinaus noch 24 Pints Milch zu besorgen (offensichtlich ohne davon auszugehen, dass die Milch verderben könnte). Jim stellt nach seiner Rückkehr in sein Haus lapidar fest, dass es Hamsterkäufe gegeben hat und er daher nichts erstehen konnte.

 

Obwohl sie unterschwellig ob des atomaren Krieges beunruhigt sind, so sind sie dennoch davon überzeugt, dass alles nicht so schlimm ist – und bald nach der Bombe wieder alles seinen gewohnten Gang nehmen wird.

Recht frühzeitig im Film ruft Jim seinen Sohn an und erklärt ihm mit der Inbrunst der Überzeugung, dass er sich mit Kriegen auskenne – schließlich habe er schon einige erlebt. Sein Sohn, offenbar klüger und welterfahrener als sein alter Herr, hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Kante gegeben und erklärt wiederum seinem Vater, dass er sich mit Frau und Kind nach draußen stellen wird, um sich die Bombe anzusehen. Er schlägt seinen Eltern vor das selbe zu tun. Jim und Hilda sind über ihren Sohn entsetzt. Er habe sich schrecklich verändert, seit er auf der Uni „diesen beatniks“ begegnet sei. (Allein schon dieser Ausdruck sagt schon alles über Jim und Hilda aus, mMn.)

 

Und dann kommt die Bombe.

Per Radio wird die Bevölkerung gewarnt, sie solle das Haus nicht verlassen. Es wären nur noch drei Minuten Zeit.

Reaktion Hilda: „Ich hol dann mal die Wäsche rein.“

Jim – in dieser Szene tatsächlich in Panik – schreit seine Frau an, sie solle sich verdammt noch mal in den Schutzraum („Bunker“) verkriechen. Daraufhin weist ihn seine Frau erst einmal zurecht – niemand hätte je in diesem Ton mit ihr gesprochen.

Als die Detonation folgt, werden in ausdrucksstarken Bildern die Zerstörung Londons und des Umlandes gezeigt. Die Verantwortlichen des Filmes verzichten darauf, sterbende Menschen zu skizzieren, halten stattdessen „die Kamera“ auf Autounfälle und auf Häuser und Kirchen, die durch die Schockwelle zerrissen werden. Diese Bilder werden von Hildas protestierende Stimme (einfach göttlich von der großartigen Brigitte Mira gesprochen) aus dem Off begleitet: „Mein Kuchen verbrennt“.

 

Das Ehepaar hat das zweifelhafte Glück, den Atomschlag zu überleben. Optimistisch gehen sie daran ihr Haus wieder zu ordnen. Störungen in ihren gewohnten Abläufen, wie das Fehlen von Strom, Wasser und Telefonverbindung, kommentiert Jim mit „Es ist klug, die Bevölkerung vor verdrecktem Wasser zu schützen“ oder „Das ist eine Regierungsmaßnahme, um die Ressourcen zu bewahren.“

 

Die angelegten Wasservorräte sind durch die Druckwelle zerstört worden. Also fangen Jim und Hilda den ersten Regen auf – kochen ihn jedoch vorsorglich ab, um nicht krank zu werden ... bei einer gepflegten Tasse Tee lässt es sich nämlich besser davon träumen, was wäre, wenn Jim endlich zum Katastrophenschutz geholt werden würde.

 

Bald schon treten bei beiden Ermüdung, Erbrechen, Fieber, Haarausfall (Jim: „Liebes, Frauen bekommen doch keine Glatze. Das ist wissenschaftlich bewiesen.“) und rote Pusteln an den Beinen auf. Der Zuschauer weiß, was das bedeutet. Aber Jim und Hilda verlieren ihren Optimismus bis zum bitteren Ende nicht.

 

 

Fazit

Wer den Film nicht kennt, sollte ihn sich besorgen. Taschentücher nicht vergessen. Und ein Kissen zum Reinbeißen wäre auch nicht verkehrt.

Ein großartiger Antikriegsfilm!

 

 

Nachbemerkung

Auf der Suche nach weiteren Fakten zu diesem Film bin ich über eine nicht uninteressante Zusatzinformation gestolpert: Jim liest in einer Tour in seinen Broschüren. Diese wurden vom britischen Zivilverteidigungsprogramm „Protect and Survive“ inspiriert. Einige der zitierten „Vorschriften“ wurden direkt daraus entnommen.

 

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