Sinister

Wenn Du ihn siehst, bist Du schon verloren (Horrorthriller)

von Scott Derrickson (Regie), 2012

 

Produktbeschreibung:

"Der letzte große Erfolg von Krimiautor Ellison Oswalt (Ethan Hawke) liegt schon Jahre zurück. Als er mit seiner Familie aus finanziellen Gründen umziehen muss, erwähnt er nichts von der dunklen Geschichte des neuen Hauses: Vor Jahren kam dort eine Familie auf brutale Weise um. Auf der nächtlichen Suche nach Inspiration für seinen neuen Kriminalroman findet Ellisoin auf dem Dachboden eine Kiste mit alten Filmrollen, die neben Familienaufnahmen des Vorbesitzers auch äußerst verstörende Sequenzen anderer Familien enthalten.

(Achtung: Minispoiler!)

Während Ellison versucht, das Geheimnis um die Aufnahmen zu lüften, scheint eine dunkle Macht von seinen Kindern Besitz zu ergreifen. Wird er schnell genug sein, um sie zu retten …?"

 

 

Inhalt und Umsetzung:

Endlich, endlich, endlich gibt es wieder einen Horrorfilm, der mich so richtig mitreißen konnte! Nach Cabin in the Woods, den ich ebenfalls liebe (der aber eher als Satire funktioniert), wurde es auch mal wieder Zeit für spannende Unterhaltung. Es gibt wenige Filme, die mich so derartig fesseln, dass ich mich dabei erwische, vor dem Fernseher zu sitzen und Selbstgespräche zu führen. Selbstgespräche, deren Inhalt sich mit jeder neuen Information stetig revidiert. Solche Filme brennen sich mir ins Gedächtnis und ich habe das Bedürfnis, anderen davon zu erzählen.

 

Also von Anfang an:

Erstens: Man nehme ein Snuff-Video.

Nun, beim ersten Schauen des Filmes dachte ich noch „Hey? Die haben aber ein langes Intro, da können sich Ghost-House, Warner-Bros. und Konsorten ja noch was abgucken.“ Sie wissen schon: diese Eingangsbilder, die für den Verleih stehen und uns darauf hinweisen, welche Filmfirma denn nun ihre Finger im Spiel hat.

Aber nachdem man quälend lange, vier gefesselte Gestalten mit Schlingen um den Hals, unter einem großen Baum stehend, präsentiert bekommt (und dabei glatt eine Bewegung am Stamm übersieht) und sich so langsam fragt, was das denn nun soll, bricht einer der Äste und zieht die Opfer über ein umgelenktes Seil mit sich in die Höhe. Eine Weile lang zappeln die Gestalten noch und dann ist Ruhe.

 

Uff … das ist doch mal ein Einstieg.

Und damit erklärt sich auch „Snuff“. Für diejenigen, die es noch nicht wissen: dieser Ausdruck beschreibt Filme, in denen eine tatsächliche Tötung aus reinen Unterhaltungszwecken(!) gezeigt wird. Wer „8mm“ kennt, weiß was gemeint ist.

Um einen 8mm-Film handelt es sich auch hier. Die älteren unter uns erinnern sich sicherlich an diese Siebziger-und-Achtziger-Jahre-Aufnahmen, die etwas unscharf und mit verwaschenen Farben daherkommen.

 

Zweitens: Man nehme einen Schriftsteller („Ellison Oswalt“, Ethan Hawke), der seine fünfzehn Minuten Ruhm schon lange hinter sich hat. Weil er sich nicht eingestehen will, dass er eine literarische Eintagsfliege war, wehrt er sich mit Händen und Füßen dagegen „Texte für Schulbücher“ zu verfassen und wollte - seine Familie im Schlepptau - unbedingt in dieses neue Haus.

Das wird er wohl schon früher so gehandhabt haben, denn seine Frau Tracy (Juliet Rylance) ist wenig begeistert und fragt ihn schon zu Beginn des Films, ob sie schon wieder in die Nähe eines Verbrechens gezogen sind.

Er verneint – und lügt (strenggenommen).

 

Denn er ist - oder besser war - ein True-Crime-Autor. Also diese Art von Schriftstellern, die sich ein wahres Verbrechen vor die Brust nehmen und nach bester Journalistenmanier herausfinden wollen, ob die damaligen Ermittlungsergebnisse der Polizei erfolgreich waren. Ellisons Kassenschlager „Kentucky blood“ hatte seinerzeit belegt, dass die örtlichen Ermittler Mist gebaut hatten. In einem alten Fernsehinterview beteuert ein junger Ethan Hawke, dass es ihm beim Erstellen des Buches „lediglich um die Sache“ ging und nicht um den Ruhm. Nun ja. Die Zeit hat Ellison verändert. Denn jetzt geht es ihm um genau diesen: er will wieder an die fünfzehn Minuten anknüpfen, die ihm damals so gut geschmeckt haben.

Das ist die zentrale Motivation, wieso er seine besorgt-genervte Frau, seinen nachtangstgeplagten Sohn Trevor (Michael Hall D’Addario) und seine kreative Tochter Ashley (Clare Foley) in das besagte Haus schleppt und – schlimmer noch – sich beharrlich weigert, wieder auszuziehen. Er geht so weit, das geplante Buch sein „Vermächtnis“ zu nennen. Nicht schlecht für einen Mann, der zwei Kinder in die Welt gesetzt hat. Nun, ich könnte jetzt vom (biologischen) Sinn des Lebens anfangen, aber ich lasse es.

Er möchte offensichtlich etwas hinterlassen. Nach Möglichkeit etwas bedeutsames.

 

Aber zurück zum Plot.

Drittens: man nehme einen (ersten) Widersacher.

Die Oswalts sind grade erst in der Stadt angekommen und packen noch ihre Sachen aus, als sie schon Besuch vom örtlichen Sheriff (Fred Dalton Thompson) bekommen. Er ist alles andere als angetan davon, dass ein Schreiberling in seine Heimat gekommen ist, der dafür bekannt ist, die Ermittlungen der Polizei in Frage zu stellen. Er legt Ellison nahe, die Stadt wieder zu verlassen und trifft damit natürlich auf taube Ohren.

 

Viertens: man nehme das Verbrechen.

Das Haus, das jetzt den Oswalts als neues Heim dienen soll (und sie finanziell gebeutelt hat) war – wir ahnen es – der Schauplatz eines Verbrechens (also nicht „nur“ in der Nähe eines solchen).

Weiterhin ahnen wir noch etwas (auch wenn wir es nach all den einleitenden Querelen eventuell vergessen haben): der Baum aus dem Snuff-Video steht im Garten.

Was wir nicht ahnen - was uns aber von Ellison und dem Sheriff Eingangs erklärt wird - ist, dass nur vier Mitglieder der Familie gehängt wurden – es aber tatsächlich fünf gab. Seit dem Mord ist die jüngste Tochter Stephanie verschwunden. Ellison hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie (oder ihre Überreste) zu finden.

 

Fünftens: man nehme Fragen und Rätsel.

Das ist der mir liebste Teil einer Geschichte. Ich möchte mitraten. Ich möchte diese „Hä?“-Momente.

Ellison - dem wir übrigens, bis auf wenige Ausnahmen, stets über die Schulter gucken – findet auf dem Dachboden eine Pappschachtel. In dieser sind ein Filmprojektor und einige Filmrollen. Neugierig, wie es sich gehört, baut der Schriftsteller den Projektor auf und guckt sich einen der Filme an. „Familie beim Rumhängen, '11“. Schwerlich zu erraten, wer da rumgehangen hat und dass damit 2011 gemeint ist. Der 8mm-Film entstand also knapp ein Jahr vor dem Einzug der Protagonisten.

Jetzt kommt eine – nein, zwei - der Stärken des Filmes zum Tragen: Wir sehen Ellison beim Zusehen zu.

Ethan Hawke gelingt es, den Widerwillen darzustellen, den Ellison empfindet, während er beobachtet, wie die vier Gestalten ihr Leben am Seil aushauchen. Aber er stellt auch die voyeuristische Neugier dar, die wir als Publikum – sind wir doch mal ehrlich – ebenso fühlen.

Das ganze wird von psychodelischen Hintergrundklängen begleitet, welche – variierend – auch jeden weiteren der noch folgenden Filme untermalen. Verstörende Töne, die zum Gezeigten „unheimlich gut“ passen.

 

Der Autor fragt sich stellvertretend:

* wer filmt das?
* wieso?
* wo ist Stephanie?

 

Es gibt noch weitere Filmrollen (beispielsweise „Grillfest, '79“) und auf jeder sind weitere Morde festgehalten.

Einer grausamer als der andere.

Auf jedem dieser Filme ist darüber hinaus noch etwas anderes zu sehen …

 

Sechstens: einen Sidekick.

Ich finde, jeder Film braucht etwas Auflockerung. Hier kommt er in Gestalt eines Deputies (James Ransone) daher, der sich als Fan des Autors herausstellt und unbedingt helfen will. Ellison ist nicht sonderlich begeistert von „Deputy-so-and-so“, nimmt aber die Unterstützung mal mehr mal weniger rechtzeitig an. Der Zuschauer wird dafür mit einigen witzigen Elementen belohnt. Es wäre übrigens ein Fehler, diesen Jungspund zu unterschätzen. Er ist weitaus cleverer als er manches Mal den Anschein erweckt.

 

 

Hier breche ich die inhaltlichen Hinweise ab und komme auf das zu sprechen, was „Sinister“ auslöst: Grusel pur.

Klar, er greift auf Altbekanntes zurück:

Da gibt es ein Haus. (Poltergeist hatte ein Haus. Paranormal Activity hatte ein Haus. The Others hatte ein Haus. Streng genommen hatte sogar Event Horizon ein „Haus“ ...)

Da gibt es einen besessenen Familienvater. (Seit Shining das non-plus-ultra)

Da gibt es seltsame Geräusche, die nach der Durchsicht des ersten Snuff-Films durch das Haus hallen. (Geräusche gibt’s wohl so ziemlich immer …)

Da gibt es hartnäckige Gegenstände (wer erinnert sich nicht an das anhängliche Manuskript in den Mächten des Wahnsinns?)

Da gibt es Kinder. (Die Zwillinge aus Shining sind wohl der Inbegriff des Unheimlichen. Aber auch Samara/Sadako hat ihren Eindruck hinterlassen.)

Da gibt es Schockmomente. (Die Autofahrt von The Grudge ist in diesem Zusammenhang lobend zu erwähnen.) Sinister brilliert mit einer wirklichen Überraschung nach einer Überraschung auf dem Dachboden – großartig!

Es gibt Abbildungen, die ihr Eigenleben führen (ein Standardelement, das sich durch The Ring noch einmal neue Dimensionen erarbeitet hatte)

Es gibt footage (also das, was Blair Witch Project und Paranormal Activity bekannt gemacht hat; wackelige Kameraeinstellungen aus der Ego-Perspektive)

Selbstverständlich gibt es ein Monster …

 

Die Synchronarbeit unter der Dialogregie von Christian Weygand (welcher zudem Vincent D’Onofrio die deutsche Stimme leiht) ist sehr gelungen. Frank Schaff (Ethan Hawke) und Ulrike Stürzbecher (Juliet Rylance) sprechen routiniert und glaubhaft.

 

Der Komponist Christopher Young hat eine stimmige Filmmusik beigesteuert. Stimmig meint übrigens nicht zwingendermaßen harmonisch. Ganz im Gegenteil, ist die akustische Untermalung - vor allem die der Snuff-Videos – teilweise nur schwer zu ertragen. Schockmoment-Tuschs gibt’s, wie es sich gehört, selbstverständlich auch, sie halten sich jedoch angenehm zurück (sofern man bei Tuschs von angenehmer Zurückhaltung sprechen kann.) Young hat, wie der deutschen Wikipedia zu entnehmen ist, durchaus Erfahrung im Horror-Metier. So zählen unter anderem The Grudge, der Fluch der zwei Schwestern und Drag Me to Hell zu seiner Filmographie.

 

 

Wie finde ich den Film?

Ich glaube nicht, dass sich das Horror-Genre mit „Sinister“ neu erfindet. Aber das braucht es auch gar nicht.

Die eindringliche Darstellung des getriebenen Schriftstellers, die ausreichend gezeichneten Nebencharaktere (btw.: Vincent D’Onofrio spielt - gewohnt routiniert und überzeugend - einen Professor für Übersinnliches), ein dunkles Geheimnis, die unmittelbare Bedrohung, das blanke Entsetzen … einige, wohlplatzierte Wendungen (von denen eine recht früh ersichtlich ist, was dem Ganzen aber keinen Abbruch tut, denn sie kommt getarnt daher) …

… und ein logisches (wenn auch etwas spannungsarmes) Finale.

 

 

Fazit:

Das ist ein Film, den man sich (allein) im Dunkeln ansehen sollte, denn er lohnt sich.

 

(fertiggestellt am 27.04.2014)

 

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