Kreationismus und Homophobie
oder
wenn man seine Religion zu ernst nimmt
Kennen Sie?
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. (Gen 1,1-2)
Kennen Sie bestimmt.
Erinnern Sie sich, wie es weiter geht? Dass Tag und Nacht erfunden werden, dass „eine Feste zwischen den Wassern“ entsteht, dass Land und Meer getrennt werden, dass Pflanzen sprießen … und so weiter und so fort.
Am sechsten Tag, quasi als Höhepunkt, schuf Gott dann den Menschen.
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. (Gen 1,26)
Nachdem Gott fertig ist, lehnt er sich (metaphorisch betrachtet) zurück und scheint zufrieden zu sein.
Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. (Gen 1,31)
Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Evolutionsbiologe bin?
Die Schöpfungsgeschichte halte ich also für genau das: für eine Geschichte.
Nun ja, ich wurde nicht als Biologe geboren; ich hab mich irgendwann selbst dazu entschieden, es zu werden.
Als Kind gab es für mich eine ganz selbstverständliche Dualität: auf der einen Seite habe ich (gleich mehrfach) die Kinderbibel gelesen – auf der anderen Seite hab’ ich die Dokumentationsreihe mit Carl Sagan in Dauerschleife verschlungen (Beta-Videorekorder sei dank).
Irgendwie hat sich da zwar ein Widerspruch aufgetan, der mich aber nicht davon abhielt, an Gott (der kindgerecht „der liebe Gott“ genannt wurde) zu glauben und gleichzeitig fest davon überzeugt zu sein, dass die Fische an Land gekrabbelt und zu Menschen geworden sind (Begriffe wie „Pisces“ und Homo sapiens kannte ich da zwar möglicherweise schon, hab’ sie aber nicht benutzt).
Die Dualität zwischen Schöpfung und Evolution funktionierte für mich irgendwann nicht mehr. Die Schöpfung als Allegorie zu verstehen hat daran nichts geändert. Nach meiner Konfirmation hab’ ich dann nur noch zu den üblichen Gelegenheiten eine Kirche besucht. Sie wissen schon: Taufe, Heirat, Tod.
Ach ja, und zum Gucken natürlich. Ich bin nämlich bekennender Gotteshäusertourist. Irgendwie ist der Besuch des Petersdoms oder von Ħaġar Qim für mich das gleiche – das Bestaunen einer fremdartigen, faszinierenden, aber vergangenen Welt.
Ich komme ohne an den Glauben an ein höheres Wesen ganz gut aus. Auf den Punkt gebracht bin ich also ohne Gott – auf schlau nennt man diesen Zustand Atheismus. (Dass dieser Artikel auf Wiki unter der Kategorie „Religionsphilosophie“ läuft, hat schon was ironisches, finden Sie nicht?) Manchmal wechselt sich diese Überzeugung gern auch mit dem Agnostizismus ab. Je nach Stimmung erhalten Sie auf die Frage nach meiner Konfession als Antwort also „protestantischer Atheist“ oder auch „protestantischer Agnostiker“. Ich muss zugeben: ich mag die irritierten Reaktionen. Auch wenn sie zunehmend nachlassen. In Mitteleuropa bin ich kein Exot und meine Ansicht wird weitestgehend – wenn schon nicht geteilt, so doch wenigstens – toleriert.
(Na, in wie weit Atheismus tatsächlich toleriert wird, werde ich wohl sehen, sobald ich diesen Text online gestellt und die Kommentarfunktion eingerichtet habe ^^)
Ich toleriere im Gegenzug diejenigen, welche an ein höheres Wesen glauben (sei es die Dreifaltigkeit, JHWH, Allah oder wer-auch-immer).
Aber natürlich gibt es für mich Differenzierungen; es wäre Heuchelei, etwas anderes zu behaupten.
Bleiben wir bei der Schöpfung. Es fällt mir leichter eine Meinung zu tolerieren, welche sie als Allegorie versteht, als eine, die sich daran orientiert, dass Gott tatsächlich und buchstäblich sechs Tage an seiner Schöpfung herumgewerkelt hat.
Wählt man für das Wort „Schöpfung“ ein Synonym, so kommt man schnell auf „Kreation“ – von dort ist es nicht weit zum Kreationismus. Kennen Sie bestimmt. Kreationisten sind die Jungs und Mädels, welche die Evolution als solche komplett ablehnen und wahlweise die oben genannten sechs Tage wortwörtlich nehmen oder auf ein paar zehntausend Jahre ausdehnen. Der Kreationismus hat eine Vielzahl diverser Strömungen hervorgebracht – ich habe jetzt keine Lust, sie alle aufzuzählen.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind die Bengels inzwischen so weit, dass der Kreationismus in Form der Variante intelligent design gleichberechtigt zur Evolutionstheorie in Schulen unterrichtet werden darf. Wird dort wohl auf fruchtbaren Boden fallen; laut einer Umfrage sind 42 % der Befragten davon überzeugt, dass alle Lebewesen ursprünglich so geschaffen wurden, wie sie heute sind. Unveränderlich. (A plurality of Americans (48%) say that humans and other living things have evolved over time, but nearly as many (42%) say that humans and other living things have existed in their present form since the beginning of time.)
Apropos Mittelalter. Kommen wir zu meinem eigentlichen Grund, heute in die Tasten zu hauen.
Kennen Sie das hier?
Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel. (Lev 18,22)
Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen. (Lev 20,13)
„Na, ja“, denken Sie vielleicht, „wat reecht die sich so auf? Is doch allet schon wat länger her.“
Stimmt. Ist es. Die beiden Zitate stammen aus dem alten Testament. Für Homosexualität wird man hierzulande nicht mehr hingerichtet. Glücklicherweise. Denn sonst wären mir einige sehr nette Leute entgangen. Wahrscheinlich sogar mehr, als ich jetzt im Kopf habe. Die Sexualität eines Menschen steht nämlich nicht zwingend oben auf der Liste der Dinge, die mich brennend interessieren.
Spaßige Vorstellung, eigentlich:
„Hallo. Mein Name ist XY, wie heißt du?“
„YZ.“
„Aaaah, und was machst du beruflich?“
„Blabla.“
„Hm hm, sehr interessant. Sag mal, mit wem schläfst du so?“
Neee, ehrlich. Mach ich nicht. Mich interessiert die Sexualität eines Mitmenschen nicht die Bohne.
(Na ja … wobei … wenn der Gegenüber ein Schnuckel ist …?)
„Na und?“, denken Sie jetzt vielleicht, „ist doch ein alter Hut. Wat kommt die jetz mit dem Thema an? Is doch lange her, dat Schwulsein unter Strafe stand.“
Naaa, nicht ganz.
Kennen Sie den Paragraphen § 175 StGB?
Noch nie gehört?
Lesen und staunen:
Fassung der DDR (Auszug):
§ 175 – Widernatürliche Unzucht
Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
[…]
Fassung der BRD:
§ 175 Unzucht zwischen Männern
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft:
1. ein Mann über achtzehn Jahre, der mit einem anderen Mann unter einundzwanzig Jahren Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt,
2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen,
3. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist der Versuch strafbar.
(3) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht von Strafe absehen.
Dieser Paragraph ist erst 1994 aufgehoben worden (und 1998 schließlich weggefallen).
Ist also noch nicht soo lange her.
Und irgendwie fühle ich mich als Frau, welche die Emanzipation so versteht, dass beiden Geschlechtern das gleiche Recht (und die gleiche Pflicht) zusteht, mal wieder diskriminiert. In den Paragraphen ist nur von Männern die Rede. Was soll das?!
Inzwischen hat sich die Lage geändert. Man(n) wird in Deutschland nicht mehr hingerichtet und nicht mal mehr eingeknastet, wenn er mit einem anderen gleichen Geschlechtes verkehrt. Jey, möchte man meinen. Alles im Lack.
Ähm, nee.
Intoleranz kann sich offenbar ganz gut als wohlgemeinte Hilfe tarnen.
Ich präsentiere Ihnen an dieser Stelle ein zwischennetziales* Fundstück, das meiner Meinung nach, ganz gut in die Kategorie „menschenverachtende Auswüchse des christlichen Glaubens“ hineinpasst.
Nehmen Sie sich eine halbe Stunde Zeit sowie prophylaktisch eine Kanne Beruhigungstee und schauen Sie sich die (gut gemachte) Dokumentation Die Schwulenheiler (Panorama) an.
Kurze Zusammenfassung für die ganz eiligen: es gibt Mediziner in unserem Land, die ernsthaft davon überzeugt sind, dass Homosexualität eine Krankheit ist, und somit geheilt werden kann – die Kosten dafür übernehmen freundlicherweise die Gesundheitskassen.
An dieser Stelle habe ich sowohl eine Anmerkung als auch eine Frage und möchte es dabei dann auch bewenden lassen.
Die Anmerkung aus Sicht eines Biologen:
Homosexualität tritt auch bei anderen Tieren auf. Sie ist also etwas ganz normales. Seltsam, anzunehmen, dass ausgerechnet Homo sapiens … (haha, Kalauer ^^)
Die Frage(n) aus Sicht eines theologischen Laien:
Wenn Gott doch alle Menschen nach seinem Vorbild geschaffen hat, hat er sich dann bei der Erschaffung der homosexuellen Mitbürger vertan? Wie, bitte schön, konnte sich ein omnipotentes Wesen irren und dann auch noch erwarten, dass nicht omnipotente Wesen (sprich: Menschen) diesen Fehler korrigieren sollen?
Es grüßt
Marina Clemmensen
* übersetzt und grammatikalisch angeglichen für „Internet“
Quellen Bibelzitate (lutheranische Übersetzung):
Genesis:
http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/1/
Levitikus:
http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/bibeltext/bibelstelle/lev%2018,22/
Quelle §175 StGB (ziemlich weit unten im Artikel gibt es die Gesetzestexte vollständig):
http://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175
Video "Die Schwulenheiler | Panorama - die Reporter | NDR"
https://www.youtube.com/watch?v=yGVxJlQaJDU
14.01. - 18.01.2015
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