Der ideale Held

Protagonisten - eine kurze Betrachtung

oder: der ideale Held ist der möglichst unideale

 

Die Frage nach dem "idealen Helden" hätte auf dieser Internetseite in fast allen Kategorien ihren Platz finden können. Ich musste mich entscheiden, ob ich dieses Thema unter den Gesichtspunkten eines Rezensionisten ("... meine Leidenschaft, das Lesen") oder eines Künstlers ("... meine Leidenschaft, die Malerei") betrachte. Zunächst hatte ich sogar überlegt, es unter "... meine Leidenschaft, das Schwadro-nieren" zu besprechen.

Alle Kategorien hätten ihre Berechtigung gehabt - und alle hätten funktioniert.

 

Aber ich habe mich letzten Endes dafür entschieden die Frage nach dem idealen Helden hier zu besprechen. Vor allem deshalb, damit Sie - falls Sie denn möchten - während des Lesens meiner Texte verstehen können, wieso meine Protagonisten sind, was sie sind.

 

Wie bereits in der Überschrift dieser Seite angesprochen, ist in meinen Augen der ideale Held der absolut unideale.

 

 

Etwas länger ausformuliert wöre es so zu verstehen:


Was ich nicht leiden kann,

weil es mich als Leser langweilt, ist die Sorte Held, die aus irgendwelchen-mir-einfach-nicht-verständlichen Gründen ein "Auserwählter" ist. Das ist mir in Matrix übel aufgestoßen  - und das stieß mir ebenso in diversen anderen Geschichten übel auf. Harry Potter steht dabei an erster Stelle.

Ähnlich verhält es sich bei den "Ui, da gibts ne Prophezeihung, da passt du ja sooowas von perfekt drauf" - Helden. Da reißt auch kein Widerwillen des Helden gegen besagte Vorhersehung die Geschichte wieder raus. Wirklich nicht. Da sträuben sich bei mir die Nackenhaare.


Was in meinen Augen so gut wie nie funktioniert,

ist ein Held, der zwar die Hölle durchmacht (schließlich gehört sich einfach so), aber keinen wirklichen Preis dafür zahlt. Verstehen Sie was ich meine?

Lassen Sie es mich so sagen:
Held zieht in die Pampa.
Held stellt sich (wiederholt) seinem Feind.
Held wird verwundet.
Held heilt aus.
Mit etwas Glück gibts ne Narbe.
Wow. Na und? Wen juckts?
Mhm ... welcher Stereotyp passt denn da mal am besten drauf? Meiner Meinung nach James Bond. Was an Ian Flemmings Agenten so spannend sein soll, entzieht sich mir. Die Filme funktionieren immer nach dem gleichen Schema. In der James Bond Reihe gibt es genau zwei Filme, die sich davon lösen und mich daher ansprechen: Lizenz zum Töten und Stirb an einem anderen Tag. Letzterer beginnt vielversprechend mit der Gefangennahme und Folter des Protagonisten. Jeder normale Mensch hätte danach an einer Posttraumatischen Belastungsstörung gelitten und jahrelang die Betreuung durch einen Spezialisten in Anspruch nehmen müssen. Nicht so James Bond. Er putzt sich den Mund ab und ballert sich unbeeindruckt durch den Rest des Filmes. Aaach ... verschenkte Möglichkeiten, denen ich nachtrauere.

 

Was für mich nur dann geht,

wenn eine wirklich gute Begründung mitgeliefert wird: Ein Held, der mit Fähigkeiten ausgestattet ist, die seiner Umwelt fehlen. Sofern sie nicht durch "Nachteile" gebremmst werden, wird es aus meiner Sicht schwierig, mit dem Helden mitzufiebern. Denn schließlich ist er übermächtig. Übernatürliche Helden brauchen zudem einen wirklich guten (im Sinne von fähigen) Gegenspieler.


Was mir auf die Nerven fällt, weil es inflationär auftaucht,

ist der jugendliche Held, der sich erst mit seinen Fähigkeiten anfreunden (sprich: sie entdecken und lernen) muss. Zauberer, die die Schulbank drücken gehen mir grob gesprochen auf den Geist. Das mag sicherlich daran liegen, dass meine eigene Schulbankdrückzeit schon so lange her ist. Mag vielleicht auch daran liegen, dass ich Geschichten dieser Art schon oft gelesen habe. (Anmerkung: Das Fähigkeiten erlernen ist nicht zu verwechseln mit dem "Wachsen" der Figur)

 

Was ich hingegen gern mag:

Gestrauchelte Existenzen

Aber bitte, bitte nicht schon wieder ein Alkoholkranker. Nix gegen Alkis - ich kenne sehr sympathische Vertreter persönlich - aber die sind als (Roman)held wirklich ausgelutscht. Wobei ich mich grade frage, ob ich schon von einem in nem Fantasybuch gelesen habe ...

Trauernde Existenzen

Sicherlich, Trauernde sind auch schon oft da gewesen: zum Beispiel der obligatorische Witwer. Oder der Elternteil, der sein Kind verloren hat - und seine Ehe gleich mit. Gabs auch schon oft.
Aber: Das können Plots mit echtem Potential sein! Solange sie glaubhaft sind. Meist jedoch dient der Verlust "nur" als lascher Aufhänger. Schade.
Gibt es eigentlich erwachsene(!) Protagonisten, die mit dem Verlust ihres Elternteils nicht klar kommen?

Psychisch Angeschlagene

Ja! Das möcht ich lesen! Es gibt sogar Bücher, die solche Protagonisten tragen können. Die Therapie von Fitzek macht das ganz gut. Und dann hab ich mal nen fetten Schinken gelesen, der von nem Schitzophrenen handelte. 600 Seiten Spannung pur! Das war super!
Weil es grade im TV nebenher dudelt: Monk mit seinen Neurosen ist auch okay. Wobei der eher spaßig ist. Die jahrelange Trudis-Mörder-Sucherrei hat mich dagegen eher wenig berührt.

 


Und hier komme ich zu dem (in meinen Augen) absolut entscheidenen:

Gefühle!
Sehr verehrter Besucher meiner Internetseite, ich hasse Liebesschnulzen und Dramen. Aber ich liebe es, wenn der Held aufgrund seiner Gefühlswelt handelt. Nachvollziehbar handelt!

Einige Überlegungen dazu (und ich bitte zu beachten, dass ich bewusst Extremfälle herausgreife):

* Ein Trauernder oder gar ein Depressvier geht nicht auf Mörder- / Monsterhatz. Der bleibt im echten Leben im Bett liegen - in Embryonalhaltung! ... Es sei denn, er pumpt sich mit Antidrepressiva voll. Dann könnte eine Mörderjagt unter Umständen nachvollziehbar sein.
* Ein Maniker wird den Teufel tun, mit seiner Meinung zurückhaltend zu sein. Er handelt stets aus dem Bauch heraus - und das unverzüglich. Dabei verliert er das Risiko aus den Augen. Ein Maniker, der vor nem Abgrund steht und erst seitenlang eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellt ist nicht glaubhaft. Er springt, wenn ihm danach ist.
* Ein von Natur aus ängstlicher Mensch braucht schon eine gewaltige Motivation, um sich mit einem Killer anzulegen. Im Normalfall wird er wohl die Polizei rufen - und nichts ists mit einem langem Roman.
* Ein Choleriker legt sich gern mit allen an. Das bietet erfreulich viel Konflikt-potential. Mag aber den Nachteil bergen, dass es schwierig ist, mit einem solchen Protagonisten eine Verbindung aufzubauen.
* Ein labiler Charakter wird beeinflusst - er fängt nicht plötzlich an, andere zu beeinflussen. Das könnte zu Problemen führen, wenn ein Labiler eine Geschichte tragen soll. Wie im richtigen Leben dürfte es ihm äußerst schwer fallen, sich Unterstützung zu suchen. Oder gar die obligatorische Konfrontation mit dem Antagonisten zu überstehen.
* Ein Bipolarer entscheidet sich heute so morgen anders. Er ist anstrengend. In erster Linie nach aussen hin. Und - weil er Reaktionen bekommt - findet er sich selbst dann auch anstrengend.
* Ein Narzist unternimmt alles, damit er aus der Masse herausragt. Egal wie. Und das Interessante daran: Herausragen muss nicht positiv sein.
* um mit Dr. House zu sprechen: Menschen lügen. Und nicht nur die Antagonisten. Statistisch gesehen lügt jeder von uns 200 Mal am Tag. Angefangen mit der simplen Antwort auf die Frage "Na, wie gehts?" Das geht meist automatisch. Nicht jede Lüge braucht eine Begründung. Ich finde, es wird in Geschichten viel zu wenig darauf eingegangen, wieso gerade nicht gelogen wird.
* Menschen haben schlechte Tage. Wieso also während eines schlechten Tages nicht eine schlechte Entscheidung treffen?
* Verliebte sind wie auf Drogen. Total balla-balla - die dürfen gern auch mal balla-balla handeln
* Erlebnisse prägen einen Charakter: Menschen, die gut behütet aufgewachsen sind, reagieren anders als Menschen aus der sogenannten bildungsfernen Schicht.
* Relationen sind wichtig. Ein Held, der sich mit dem ultimativen Bösen anlegt, sollte nicht zart besaitet sein, wenn er sich versehentlich einen Nagel einreißt.
* Um es auf die Spitze zu treiben: PMS! Ja! Ich möchte endlich mal eine ernstzunehmende Darstellung eines Fantasycharakters mit PMS!
* usw. usw. ...


Was mich besonders fasziniert,

ist ein Antiheld. Ich glaube nicht an "gut" und "böse". Um mit einem bekannten Actionfilm aus den Achtzigern zu sprechen: "Ich bin zu alt für den Sch***!" Niemand ist böse um des Bösen willen. Charaktere mögen Prinzipien und Handlungen folgen, die den gesellschaftlichen Moralvorstellungen zuwiderlaufen - aber macht sie das zu etwas "bösem"? Ich finde: nein.
Denn auch Menschen, die sich gegen die Moralvorstellung der Gesellschaft stellen, haben unter anderem Charakterzüge, die sie sympatisch machen.


Was wollte ich mit diesen Ausführungen sagen?

Ein "idealer Held" hat Schattenseiten. Er ist in erster Linie "menschlich" - selbst dann, wenn er Elfenohren tragen oder Gilmli heißen sollte. Seine Handlungen sind schlüssig - auch dann, wenn sie sich nicht mit den Handlungen decken, die der Leser in Erwägung zieht.
Und - ein Punkt, der mir ganz besonders wichtig ist - er zahlt einen Preis! Je größer die Aufgabe, desto schrecklicher der Preis! Und dieser Preis muss ihm (und somit auch dem Leser) zu schaffen machen!

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Kommentare: 1
  • #1

    deggro (Sonntag, 30 Dezember 2012 21:08)

    Dieser Seite war wirklcih interessant!


    PS: Super das ich endlich mal irgendwo lese das es das richtig "böse" nicht gibt. Ich finde es kommt total auf die Sichtweise drauf an.