Mengkohou

erste Fassung

entstanden etwa zur Jahrtausendwende

(c) Marina Clemmensen

Vorbemerkung: bei dem unten folgenden Text handelt es sich um einen Auschnitt aus einem Buch an dem ich seit nunmehr 15 Jahren tüftle. So wie ich ihn hier online stelle, ist er damals entstanden und ich haben keine tiefergehenden Veränderungen vorgenommen. Einfach um einmal zu demonstrieren, dass sich Schreibstile über die Jahre verändern können.

 

Dieser Ausschnitt kann für sich alleine stehen, Sie benötigen also keinerlei Vorkenntnisse. Darüberhinaus habe ich die vorkommenden Namen abgeändert.

 

Der Himmel war dunkel. Wolkenverhangen. Kaum ein Stern war zu sehen. Blass versuchten sich die Monde gegen den Schleier zu wehren. Kämpften darum ihr Licht dennoch zu verbreiten. Die Wolken waren jedoch übermächtig und erstickten den Versuch im Keim.

Aber, waren es überhaupt Wolken?

Die Luft stank verbrannt. Verbrannter Wald, Verbrannter Lehm. Verbranntes Fleisch. Qualm reizte die Lungen und die Augen. Im Dunklen stolperten Schemen orientierungslos im verrauchten Dickicht umher. Sie stöhnten und keuchten.

Hustend rieb sich ein Mädchen die tränenden Augen. Es versuchte seine Mutter zu finden. Es griff suchend vor sich in die Düsternis. Panisch erkannte es, dass es allein war. Ängstlich und zaghaft rief es nach der Mutter. Immer wieder. Lange kam keine Antwort.

Dann ein ebenso ängstlicher Ruf. Eine weibliche, gedämpfte Stimme. Aber nicht die der Mutter. Trotzdem vertraut genug, dass das Mädchen auf sie zu lief. Eine Hand griff nach ihm. Hastig packte das Mädchen die runzelige Haut. Das Mädchen wurde tröstend im Nacken gegriffen und sein Kopf an die Taille einer alten Frau gedrückt. Die Frau war klein. Aber das Mädchen war noch jung und sein Körper noch lange nicht ausgewachsen. Das Kind schmiegte sich an die Frau. Klammerte seine Arme um die Hüfte der anderen. Beruhigend sprach die Alte auf das Kind ein. Sagte, dass alles wieder gut werden würde. Dass sie die Mutter bald finden würden.

 

Aber die Alte wusste es besser: sie hatte die Mutter sterben sehen. Vor nicht einmal einer Stunde. Sie hatte gesehen, wie sich die Mutter vor die Bestie geworfen hatte. Wie sie verzweifelt versucht hatte ihren Sohn zu retten. Vergebens. Die Bestie hatte die Mutter nieder getrampelt, ehe sie beiläufig, fast spielerisch, nach dem Schädel des Jungen geschnappt hatte. Der kopflose Leichnam war zuckend zu Boden gestürzt.

Die Alte schauderte. Was würde es nützen, das dem Mädchen zu erzählen? Ihm zu erzählen, dass es ab jetzt allein war? Gar nichts. Sicher. Bald würde sie es dem Kind erklären müssen. Aber noch nicht. Nicht jetzt. Zuerst mussten sie sich in Sicherheit bringen. Fort von hier.

Sie schob das Mädchen vor sich her. Sehnsüchtig warf sie dabei einen letzten Blick zurück in Richtung ihres Dorfes. Es war verschwunden. Vernichtet innerhalb einer halben Stunde.

Mengkohou war gekommen.

Die Bestie war gekommen.

Die verzweifelten Dörfler hatten versucht Mengkohou mit dem anzugreifen, von dem sie gehofft hatten, dass es half: Feuer! Es war immer eine verlässliche Waffe gewesen. Jeder Jäger wusste das. Aber Mengkohou war kein Tier. Es hatte sich nicht vertreiben lassen. In Panik oder im Tod fallen gelassene Fackeln hatten das Dorf in Brand gesetzt. Unzählige Männer, Frauen und Kinder, die sich in den Häusern in Sicherheit hatten bringen wollen, waren qualvoll verbrannt, während Mengkohou durch die Flammen wütete und alle tötete, die es sah. Einige wenige hatten ihr Heil in der Flucht gesucht. Unter ihnen das Mädchen mit seinem Bruder und seiner Mutter. Das Mädchen war schneller als die beiden anderen gewesen. Das hatte sein Leben gerettet. Der Junge jedoch war gestolpert ...

Die Alte drückte das Mädchen noch immer an sich, während die beiden durch den Wald liefen.

Irgendwann war der trübe Schein des Feuers in ihrem Rücken verschwunden. Vielleicht hatten Überlebende die Brände gelöscht, nachdem Mengkohou weiter gezogen war. Vielleicht hegten sie die Hoffnung, das Dorf wieder aufzubauen. Die Alte wusste, dass diese Hoffnung trügerisch war. Es gab nichts mehr aufzubauen. Und wer wollte überhaupt noch an diesem verfluchten Ort leben? Die Alte zog das Mädchen weiter mit sich. Sie bemühte sich ihm das Gefühl zu geben, dass sie wisse, wo sie hingehen konnten. So stolperten die beiden weiter. Der Rauch lag nach wie vor schwer in der Luft. Schon lange hatten sie niemanden mehr aus dem Dorf gesehen. Einsam kämpften sie sich weiter. Zweige griffen nach ihrer Kleidung. Zerrissen das dünne Leinen. Zerkratzten die faltige Haut. Wurzeln und niedrige Büsche erschwerten den Weg. Zwangen sie dazu, zögernd und bedacht ihre Schritte zu setzen. Ihre Schuhe boten kaum Schutz vor schartigen Steinen und dornigen Ästen. Das Kind neben ihr weinte. Aber die Alte tröstete es nicht mehr. Ihre Gedanken drehten sich um die kurzen Beine des Kindes: Sie kamen zu langsam voran. Die Alte überlegte, ob sie das Kind tragen sollte. Aber sie entschied sich dagegen. Auf diese Weise würden sie nicht schneller werden.

Plötzlich blieb die Alte stehen. Sie horchte. Die Greisin konnte fühlen, dass sich das Mädchen fest um ihren Arm klammerte. Schmerzlich verzog sich das Gesicht der Alten, als sich die Nägel des Mädchens durch den dünnen, grünen Stoff hindurch in die verwelkende Haut gruben. Aber sie ließ die Kleine gewähren. Denn es war gleichgültig.

Ein Rumpeln näherte sich. Tief und bedrohlich. Der Alten stockte der Atem. Sie hielt das Kind dazu an, still zu sein. Sie horchte in die Dunkelheit. Verräterisches Krachen und Beben. Es war nicht vorbei! Mengkohou hatte umgedreht!

Die Alte stieß das Mädchen vorwärts. Schrie es an, es solle rennen!

 

Mengkohou war schnell. Unglaublich schnell.

Die Bestie bahnte sich seinen Weg durch das Dickicht. Bäume stürzten um, ohne dem Leib der Bestie irgendwas entgegen zu setzen. Weit ausholende Sprünge brachten Mengkohou seinen Feinden näher. Es war ihm gleichgültig, dass die Dörfler Generationen lang nichts mehr mit seiner Verbannung zu tun hatten. Es war ihm egal, dass sie sich kaum noch an ihn erinnern mochten. Es kannte die Bedeutung von Vergebung nicht. Aber es kannte die Bedeutung von Hass!

Die Bäume wischten an ihm vorbei. Es spürte, wie Äste in sein Gesicht peitschen. Fühlte, dass sich die Stämme in seine Flanken gruben, ehe sie zersplitterten.

Und dann sah es zwei humpelnde Schemen. Auch wenn Mengkohou keine greifbare Vorstellung von Furcht oder der Natur seiner Feinde hatte, wusste es sehr genau, was es sah und roch: Es sah die Panik im Blick der alten Frau, als sie sich herum drehte. Es witterte ihre Angst. Brüllend tat es noch einen letzten Satz, um die beiden zu erreichen.

Schützend hob die Alte ihren Arm vor das runzelige, halb blinde Gesicht.

Mengkohou schnappte zu ...

 

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